Ein neu gegründeter Betriebsrat steht oft vor der Frage, ob er noch Einfluss auf bereits abgeschlossene Maßnahmen des Arbeitgebers hat. Das ist möglich, sagt das LAG Berlin-Brandenburg. Allerdings muss er sein Mitbestimmungsrecht einfordern, etwa bei einer im Vorjahr getroffenen Prämienregelung. Der Arbeitgeber muss das Gremium nicht von sich aus nachträglich beteiligen.
Das war der Fall
In dem Betrieb besteht für einen Großteil der Belegschaft ein Teil des Entgelts aus Prämien, die der Arbeitgeber jährlich nach bestimmten kollektiven Verteilungsgrundsätzen auszahlt. Dass diese Zahlungen und deren Verteilung mitbestimmungspflichtig sind, ist unbestritten. Allerdings wurde erst in November 2015 ein Betriebsrat gewählt.
Es geht nun um die Prämienzahlungen für 2015. Die Regeln für die Auszahlung standen in 2015 bereits fest, die Auszahlung selbst erfolgt erst in 2016 – und damit nach Konstituierung des Betriebsrats. Es fragt sich nun, ob der Betriebsrat noch Beteiligungsrechte geltend machen kann.
Stichwort: Mitbestimmung bei Prämien
Prämienzahlungen sind immer mitbestimmungspflichtig, wenn sie mehrere Arbeitnehmer betreffen und von bestimmten allgemein gültigen Kriterien abhängig sind. Denn dann geht es um kollektive Entlohnungsgrundsätze, bei denen der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht hat (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Handelt es sich um einen reinen Individualakt, z. B. eine einmalige Zahlung an einen Mitarbeiter, besteht kein Mitbestimmungsrecht. Das Mitbestimmungsrecht setzt voraus, dass keine vorrangige tarifliche Regelung besteht (§ 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Das ist der Fall, wenn im Betrieb kein Tarifvertrag gilt oder wenn der Arbeitgeber übertarifliche Zulagen oder eben Prämien zahlt.
Das sagt das Gericht
Das LAG ist der Meinung, dass hier kein Mitbestimmungsrecht besteht, weil der Betriebsrat es nicht reklamiert hat. Es könne durchaus Fälle geben, in denen Maßnahmen des Arbeitgebers auch im nach hinein noch der Mitbestimmung zu unterwerfen sind.
Dann müsse der Betriebsrat allerdings – so die Richter – von sich aus aktiv werden und die Mitbestimmung einfordern. Zwar gebe es die Meinung, dass in bestimmten Fällen der Arbeitgeber tätig werden und wegen Fehlen des Betriebsrats zunächst mitbestimmungsfrei eingeführte Maßnahmen dann der Mitbestimmung unterwerfen müsse (so Klebe in Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG-Kommentar für die Praxis, 16. Aufl. 2018 § 87 Rn. 15).
Allerdings sehen die Richter den Fall hier anders: Der Betriebsrat hat hier erkennbar keine Einwendungen erhoben, als die Arbeitgeberin im März ausdrücklich erklärt hat, sie werde ihn nur ab sofort an der Regelung für das Jahr 2016 beteiligen. Folglich hat der Betriebsrat nach seiner Wahl und vor der Auszahlung der Prämie ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Prämie aus dem Jahr 2015 nicht reklamiert, sondern sich im März 2016 damit zufrieden gegeben, dass die Arbeitgeberin ihm das Mitbestimmungsrecht für die Prämie 2016 angeboten hat.
In der konkreten Situation wäre es dem Betriebsrat zuzumuten gewesen, etwaige Mitbestimmungsrechte deutlich zu beanspruchen und nicht abzuwarten, bis alle Prämien ausgezahlt waren, um dann ein Mitbestimmungsrecht zu geltend zu machen.
Das müssen Betriebsräte beachten
Für alle neu gegründeten Betriebsratsgremien gilt: Schaut Euch genau an, welche Maßnahmen der Arbeitgeber bereits »mitbestimmungsfrei« ergriffen hat.
Ist erkennbar, dass der Arbeitgeber im Vorfeld der Betriebsratswahl und vor Konstituierung des Gremiums Maßnahmen ergriffen hat, die eigentlich aufschiebbar gewesen wären – dies widerspricht dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Diese Maßnahmen unterliegen in jedem Fall der Mitbestimmung. Auch sonst lohnt es sich, Mitbestimmungsrechte zu reklamieren, wenn die Maßnahmen noch nicht abgeschlossen sind.
Der Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg ist rechtskräftig.
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Quelle
LAG Berlin-Brandenburg (05.07.2018)
Aktenzeichen 26 TaBV 1146/17