Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird in Kürze darüber entscheiden, ob Arbeitgeber die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer erfassen müssen. Nach Auffassung des zuständigen Generalanwalts beim EuGH ergibt sich diese Pflicht aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Ein entsprechendes Urteil hätte auch für Deutschland erhebliche Folgen.
Darum geht es
Ausgangspunkt des Verfahrens ist ein Rechtsstreit zwischen mehreren spanischen Gewerkschaften und der Deutsche Bank SAE, die zur Unternehmensgruppe der Deutschen Bank AG gehört.
Die Gewerkschaften wollen im Wege einer Verbandsklage feststellen lassen, dass die Deutsche Bank SAE verpflichtet ist, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer einzuführen. Nach Auffassung der Gewerkschaften soll dies den Arbeitnehmervertretern die Kontrolle ermöglichen, ob das Unternehmen die vereinbarten Arbeitszeiten einhält.
Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich eine derartige Verpflichtung aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung) ergibt.
In Spanien besteht – ähnlich wie in Deutschland – keine generelle Verpflichtung, die Regelarbeitszeit zu erfassen. Vorgeschrieben ist nur das Erfassen von Überstunden und das Erfassen der Arbeitszeit bestimmter Gruppen, etwa für Teilzeitbeschäftigte, mobile Arbeitnehmer sowie für Beschäftigte in der Handelsmarine und bei den Eisenbahnen.
Das sagt der Generalanwalt
Der für das Verfahren beim EuGH zuständige Generalanwalt Giovanni Pitruzella spricht sich für die gewerkschaftliche Position aus. Die Generalanwälte beim EuGH haben die Aufgabe, Verfahren für die Entscheidung des Gerichtshofs vorzubereiten. In seinen Schlussanträgen vom 31.1.2019 empfiehlt der Generalanwalt dem Gerichtshof festzustellen, dass sich aus der Charta und der Richtlinie 2003/88 die Verpflichtung von Arbeitgebern ergibt, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für alle Vollzeitarbeitnehmer einzuführen. Es stehe jedoch den Mitgliedstaaten frei, selbst festzulegen, wie die effektive täglichen Arbeitszeit am besten zu erheben ist.
Rechtslage in Deutschland
Ähnlich wie in Spanien kennt auch das deutsche Recht keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, sondern nur eine Reihe gesetzlicher Sonderfälle. Die in Unternehmen praktizierte Zeiterfassung aller Arbeitszeiten beruht häufig auf Tarifverträgen oder betrieblichen Regelungen. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Erfassung der über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehenden Überstunden (§ 16 ArbZG).
Das Erfassen der gesamten Arbeitszeit ist etwa vorgeschrieben:
- nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) für geringfügig Beschäftigte (§ 8 SGB IV) und Beschäftige der vom Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (§ 2a SchwarzarbG) erfassten Branchen (§ 17 MiLoG)
- für angestellte Fahrer (§ 21a Abs. 7 ArbZG) und selbstständige Berufskraftfahrer (§ 6 KrFArbZG)
Auch die zuständige Arbeitsschutzbehörde kann anordnen, dass ein Arbeitgeber alle Arbeitszeiten erfassen muss, um sicherzustellen, dass das ArbZG eingehalten wird (§ 17 ArbZG).
Welche Folgen hätte ein Urteil des EuGH?
Richtet sich der EuGH nach den Anträgen des Generalanwalts – und das tut der Gerichtshof in den meisten Fällen – hätte dies auch für Deutschland unmittelbare Auswirkungen. Auch das deutsche Arbeitszeitrecht (geregelt im ArbZG) dient der Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG und muss sich nach dieser richten.
Nach den Anträgen soll der EuGH feststellen, dass nationale Rechtsvorschriften unwirksam sind, die der Verpflichtung der Arbeitgeber nach der Richtlinie entgegenstehen. Damit wären auch Betriebe zur täglichen Zeiterfassung verpflichtet, die dies bisher nicht praktizieren.
Neue Rechte für den Betriebsrat möglich
Dann könnten auch Betriebsräte aufgrund ihrer Überwachungspflicht verlangen, dass der Arbeitgeber eine entsprechende Zeiterfassung einführt (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Bei der Ausgestaltung stünde dem Betriebsrat ebenfalls ein zwingendes Mitbestimmungsrecht zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
Ob die Entscheidung wie beantragt ergeht und welche Auflagen der EuGH Spanien und anderen Mitgliedsstaaten für die Umsetzung macht, bleibt abzuwarten.
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Quelle
EuGH (31.01.2019)
Aktenzeichen C-55/18
EuGH, Pressemitteilung vom 31.1.2019