Europäische Betriebsräte stärken
Die Verhandlungen zur Richtlinien-Reform der Europäischen Betriebsräte (EBR) dauern an. Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Die von der EU-Kommission bereits im Januar 2024 vorgelegten nötigen Änderungen im Sinne der Europäischen Betriebsräte wollte die rechtsextreme EU-Fraktion „Patrioten für Europa“ noch kippen. Dies konnte mit einer knappen Mehrheit aber verhindert werden. Das nur mal als Hinweis für alle, die sich von arbeitnehmerfeindlich handelnden Rechtsextremen politisch gut vertreten fühlen.
Die Reform der Richtlinie ist mehr als überfällig, würde sie doch bereits vorhandene Regeln der EBR wirksam konkretisieren und ihre Mitbestimmung stärken. Verstöße gegen die Richtlinie könnten zudem „spürbar“ sanktioniert werden. Das will die EU, die Wirtschaft protestiert vehement.
Ein kurzer Blick zurück: Rechtlich basiert der EBR auf einer EU-Richtlinie von 1994. Zwei Jahre später wurde diese in der deutschen Gesetzgebung als „Europäisches Betriebsräte-Gesetz“ verankert. 2009 wurde die Richtlinie von der EU nachgebessert, Änderungen wurden wieder zwei Jahre später in die deutsche Rechtsprechung übernommen.
2018 bewertete die EU-Kommission die Richtlinie erneut und kam zu dem Ergebnis: Es besteht Handlungsbedarf. Der entstandene Eindruck ist richtig: Die Richtlinie der Europäischen Betriebsräte im Sinne der Arbeitnehmer*innen zu gestalten, ist ein dickes Brett, das es zu bohren gilt. Die aktuell diskutierten Änderungen in Form von klar definierten Rechten für die Euro-Betriebsräte könnten entscheidende Durchbrüche in der Betriebsratsarbeit im Sinne der europaweit Beschäftigten bewirken.
Doch Moment: Was sind „europaweit Beschäftigte“, die nach der Richtlinie von einem EBR profitieren können? Per Definition ist das die Belegschaft „in Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, die in mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten 150 Mitarbeiter*innen haben (…)“. Dies ist zum Beispiel im Bayer Konzern der Fall. Einer Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der Hans-Böckler-Stiftung und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zufolge gehört das Unternehmen damit einer Minderheit an.
Die Zahlen, EU weit
Rund 1.370 EBR sind in den Unternehmen EU-weit eingesetzt (Stand 12/2024). Das klingt viel, tatsächlich erfüllen aber ca. 3.900 Unternehmen die Voraussetzungen der EBR-Richtlinie und entsprechend könnten ebenso viele EBR eingesetzt werden. Heißt: Eine Interessenvertretung der Beschäftigten findet nur in gut einem Drittel der Betriebe statt, dieser Wert setzt sich auch in Deutschland fort, so die Studie.
Hinzu kommt – und auch hier setzt die Reform der EBR-Richtlinie an –, dass in Deutschland 46 Prozent der EBR unter veralteten Bedingungen agieren, die nicht den aktuellen Mindeststandards entsprechen. Dies ermöglicht die aktuell gültige Regelung, dass ältere, vor 2009 geschlossene Vereinbarungen Bestandsschutz genießen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Arbeitgeber blockieren ERB-Arbeit
Aber nicht nur dieser Fakt macht die Überarbeitung erforderlich. Es ist Druck auf dem Kessel. Die Zahl der Unternehmen in Deutschland mit ausländischen Muttergesellschaften nehmen zu. Nationale Arbeitnehmerrechte können dadurch von Arbeitgeberseite ausgehebelt werden, selbst wenn ein EBR im Unternehmen aktiv ist. Denn das Informationsrecht der Betriebsräte bei wichtigen „länderübergreifenden“ Entscheidungen durch das Management kann aufgrund von Vertraulichkeitsgründen von den Unternehmen verweigert werden. Dieses oft von den Arbeitgebern genutzte Instrument soll durch die Reform abgeschwächt werden.
Nach der Novellierung muss eine Vertraulichkeit nachweislich begründet werden. Das schmeckt der Arbeitgeberseite nicht. Auch nicht die angeregte Änderung, dass ein Verstoß gegen diese Regelung nach der Reform in Deutschland nicht mehr 15.000 Euro kosten soll, sondern bis zu 20 Millionen Euro, respektive 4 Prozent des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes. Gleichzeitig sollen die EBR von der EU-Kommission darüber unterrichtet werden, wie sie gerichtliche Verfahren gegen die Konzerne anstrengen können.
Richtlinien-Reform für die EU ist überfällig
Die Arbeitgeber lehnen diese Instrumente der aktuellen Reform strikt ab. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) stellt sich quer und bezeichnet die Änderungen als „überflüssig und gefährlich“. Sie prognostiziert mehr Bürokratie und weniger Tempo bei Managemententscheidungen. Ein fatales Signal auf Kosten der Beschäftigten, wie das Beispiel von British Airways zeigt. Das Unternehmen entließ 2020 über 12.000 Mitarbeiter*innen, ohne den EBR im Vorfeld der Entscheidung darüber zu informieren.
Begründung: Vertraulichkeit. Die im Nachhinein eingereichte Klage vor dem Nationalen Arbeitsgericht Spaniens war erfolgreich. Sie gab dem EBR recht. Diese Entscheidung fiel aber erst 2023, für eingreifende regulierende Maßnahmen war es längst zu spät. Dieser Fall ist keine Seltenheit.
Eine Umfrage im Rahmen der oben erwähnten Studie ergab, dass 80 Prozent der EBR gar nicht oder erst dann unterrichtet werden, wenn strategische Entscheidungen im Unternehmen bereits gefällt wurden. Knapp 40 Prozent der Arbeitgeber berufen sich dabei auf die Vertraulichkeitsklausel oder versuchen, durch die Deklaration, dass ihr Vorgehen keine „länderübergreifende Angelegenheit“ ist, den Einfluss der EBR zu verhindern. Demnach wären sie nicht zuständig. All dies zeigt: Die Richtlinien-Reform der Europäischen Betriebsräte ist überfällig!
Lothar Wirtz, Erschienen im Navigator Ausgabe 5, 19.05.2025
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