Mindestlohn

Mindestlohn Regeln: EU-Richtlinienreform

Für eine klare EU Mindestlohnrichtlinie

Der Mindestlohn und seine Anpassung sorgen immer wieder für Diskussionen, sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene. Manche Staaten stellen die 2022 beschlossene Mindestlohnrichtlinie sogar infrage. Schon das ist ein fatales Signal und findet seinen Ursprung in nicht genau definierten Punkten in der Richtlinie selbst. Für eine dauerhafte sozial gerechte Angleichung der Löhne in Europa muss endlich Klarheit für die Arbeitnehmer*innen herrschen.

Im Herbst 2022 stimmten 24 der 27 EU-Mitgliedsstaaten für eine Mindestlohnrichtlinie. Dänemark und Schweden votierten dagegen, Ungarn enthielt sich. Damit hatte nun jedes Land zwei Jahre Zeit, die Richtlinie unter Berücksichtigung der Ausnahmen, Freiräume und
Maßnahmen in das nationale Recht zu überführen.

Dazu gehörte auch die Definition, dass die EU rechtlich nicht befugt ist, eine Regulierung der nationalen Gestaltung der Arbeitsentgelte vorzunehmen. Vielmehr sind in der Mindestlohnrichtlinie autonome Handlungsgarantien der Mitgliedsstaaten bei der Gestaltung der Tarife vorgesehen. Ungeachtet dessen legte Dänemark Anfang 2023 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), später unterstützt von Schweden, Einspruch gegen die Mindestlohnrichtlinie ein. Man befürchtete Eingriffe in die Gestaltung der eigenen Arbeitsentgelte. Obwohl diese Annahme nicht zutraf, hielten die Skandinavier ihre Klage pro forma aufrecht – und bekamen überraschenderweise im Januar 2025 Unterstützung vom zypriotischen Generalanwalt am EuGH. In seinen gutachtenähnlichen Anträgen heißt es, dass die Richtlinie und darin die direkte Regulierung des Arbeitsentgelts nicht mit EU-Recht vereinbar seien.

Eine Auslegung, der die anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht folgen. Ob dies die anderen Richter*innen am EuGH tun, bleibt abzuwarten. Aufgrund des deutlichen Votums 2022 erscheint dies nicht als wahrscheinlich. Umso mehr wäre es ein fatales Signal.

Mindestens 60 Prozent

In der Mindestlohnrichtlinie fehlen an wichtigen Punkten exakte Definitionen. Zum Beispiel gibt sie Staaten, die wie Deutschland ein Mindestlohngesetz (MiLoG) haben, vor, die Gesetzeskriterien klar zu definieren und das Lohnniveau regelmäßig anzupassen. Wie diese Kriterien aber aussehen, obliegt größtenteils den Staaten selbst. Ausnahmen bilden die Regeln, dass der Mindestlohn die Lebenshaltungskosten berücksichtigen und das allgemeine Lohnniveau und die Wachstumsrate sowie das nationale Produktivitätsniveau
und seine Entwicklung beachten muss.

Das „allgemeine Lohnniveau“ bildet die Grundlage für die Bestimmung des Mindestlohns: Geeinigt hatten sich die Mitgliedsstaaten auf 60 Prozent des Lohnmedians, also des durchschnittlichen Bruttoeinkommens. Nimmt man diesen Wert und betrachtet die Mindestlöhne in Deutschland, fällt auf, dass die 60 Prozent nicht erreicht wurden und werden. Nach Berechnung der OECD schwankt der deutsche Mindestlohn zwischen 46 und 48 Prozent des Lohnmedians.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) weist darauf hin, dass bereits bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland 2015 der Stundenlohn bei 10,59 Euro hätte liegen müssen, 2023 dann bei 14 Euro, um 2024 auf 14,61 Euro angepasst zu werden. Dass die kommenden 15 Euro Mindestlohn Platz im Koalitionsvertrag der neuen Regierung gefunden haben, ist daher überfällig – obwohl es eigentlich nach Berechnungen 15,12 Euro sein müssten.

Wir brauchen ein soziales Europa

Die Sensibilität des Themas zeigte sich einmal mehr auf nationaler Ebene bei den Aussagen der CDU/CSU, dass trotz Koalitionsvertrag beim Mindestlohn das letzte Wort noch nicht gesprochen sei – ein Affront für die Arbeitnehmerschaft bei gleichzeitigem Schulterschluss mit den Arbeitgeberverbänden. Die haben die Ermittlung des Mindestlohnniveaus durch eine entsprechende Kommission, wie es das Mindestlohngesetz vorsieht, gegen die Stimmen der Gewerkschaften torpediert. Dabei ist eine Mindestlohnkommission mit drei Arbeitgeber*innen, drei Gewerkschaftsvertreter*innen und einem unabhängigen Vorsitz ausgleichend besetzt. Hinzu kommen in beratender Funktion zwei Wissenschaftler*innen.

Umso wichtiger ist es, das deutsche Mindestlohngesetz so konkret zu verfassen, dass es wirkungsvoll und zweifelsfrei angewendet werden kann. Dazu brauchen wir eine EU-Mindestlohnrichtlinie, deren konkrete und klare Vorgaben die Grundlage für ein soziales Europa mit stetig wachsenden Angleichungen der Arbeitsbedingungen und mit fairen Arbeitsentgelten bilden.

Lothar Wirtz, Erschienen im Navigator Ausgabe 5, 19.05.2025
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