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Krisen: Folgen für Mensch und Unternehmen

Ein Blick auf die Dynamik von Krisen sowie ihre emotionalen und wirtschaftlichen Auswirkungen

Wir leben in einer Welt, in der Krisen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel zu sein scheinen. Ob Klimawandel, Energiekrise, Fachkräftemangel oder gesellschaftliche Spannungen wie Populismus und Rassismus – die Herausforderungen unserer Zeit kommen selten allein. Stattdessen erleben wir immer häufiger das gleichzeitige Auftreten mehrerer Krisen, die sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. Dieses Phänomen, das oft als „Polykrise“ bezeichnet wird, stellt Menschen und Unternehmen vor enorme Belastungen. Doch was bedeutet es, wenn Krisen sich überlagern? Was macht das mit dem Individuum und mit Organisationen? Und wie können Betriebsräte diese Dynamiken verstehen, um ihre Belegschaft zu unterstützen und Orientierung zu geben?

Die Geschichte der Krise

Der Begriff „Krise“ hat eine lange Geschichte und war ursprünglich vor allem im medizinischen und politischen Kontext von Bedeutung. Im antiken Griechenland bezeichnete krisis den Wendepunkt einer Krankheit – den Moment, in dem sich entscheidet, ob der*die Patient*in sich erholt oder nicht. Später wurde der Begriff auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge übertragen.

Jean-Jacques Rousseau war im 18. Jahrhundert einer der ersten Denker, der Krisen als Momente des Wandels und der Transformation beschrieb. Er sah in Krisen nicht nur Katastrophen, sondern auch Chancen, bestehende Systeme zu überdenken und neue Wege einzuschlagen.

In der modernen Zeit sind Krisen häufiger geworden und vielseitiger: von den Weltkriegen über die Weltwirtschaftskrise bis hin zu globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Pandemien. Jede Krise bringt Wendepunkte mit sich – und die Möglichkeit, gestärkt daraus hervorzugehen. Sie sind nicht nur Zeiten der Unsicherheit, sondern auch Momente des Neuanfangs.

Jean Jaques Rousseau Portrait
© iStock.com/GeorgiosArt

Die Dynamik einer Krise: Was bedeutet maximale Instabilität?

Krisen verlaufen selten linear. Sie entwickeln sich in Wellen, die ihren Höhepunkt am Punkt der maximalen Instabilität erreichen. Für das Individuum bedeutet dieser Moment eine maximale emotionale und psychische Belastung – Ohnmacht, Angst und Überforderung nehmen überhand. Auf globaler Ebene sind es die Momente, in denen ganze Systeme zusammenzubrechen drohen: Gesundheitssysteme während der Pandemie, Lieferketten in der Energiekrise oder der soziale Zusammenhalt angesichts gesellschaftlicher Polarisierung.

Früher waren Krisen oft isoliert: Eine Herausforderung führte zu einer Phase der Instabilität, gefolgt von einem Prozess der Stabilisierung. Heute jedoch erleben wir häufig mehrere parallele Krisen, die sich gegenseitig verstärken. Diese Überlagerung bedeutet, dass weder Individuen noch Organisationen die Gelegenheit haben, sich zu erholen, bevor die nächste Herausforderung eintritt.

Die folgende Skizze verdeutlicht diesen Unterschied:

  • Früher: Eine Krise erreicht ihren Höhepunkt und danach folgt eine Phase der Stabilisierung.
  • Heute: Mehrere Krisen laufen parallel und die Instabilität bleibt dauerhaft hoch.

Die parallelen Herausforderungen – sei es durch steigende Energiekosten, Fachkräftemangel oder gesellschaftliche Konflikte – erschweren nicht nur die Verarbeitung, sondern auch das Finden von Lösungen.

Krisen auf individueller Ebene: Emotionale und psychische Belastungen

Für den Einzelnen sind Krisen vor allem emotional und psychisch spürbar. Sie lösen Ängste aus, schüren Unsicherheiten und führen zu Überforderung. Besonders in der heutigen Zeit, in der Krisen sich überlagern, fühlen sich viele Menschen gefangen in einem Dauerzustand der Belastung.

Ein häufiges Phänomen, das in diesem Zusammenhang beobachtet wird, ist „anger-out“ – die ungefilterte Entladung von Wut und Frustration. Ob in sozialen Medien, im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz: Gereiztheit und Konflikte nehmen zu, weil die mentale Widerstandskraft vieler Menschen erschöpft ist. Hinzu kommen körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsprobleme, die die Fähigkeit, mit weiteren Herausforderungen umzugehen, zusätzlich einschränken.

Doch Krisen bieten auch Potenziale: Sie zwingen uns, innezuhalten und unsere bisherigen Muster zu hinterfragen. Menschen, die es schaffen, neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln, können gestärkt aus einer Krise hervorgehen.

Die Auswirkungen auf Unternehmen: Krisen zwischen Druck und Veränderung

Auch Unternehmen stehen in Krisenzeiten vor enormen Herausforderungen. Finanzielle Unsicherheiten, gestörte Lieferketten und veränderte Marktanforderungen setzen Organisationen unter Druck. Besonders betroffen sind Branchen wie die Automobilzulieferindustrie, die sich nicht nur mit wirtschaftlichem Druck, sondern auch mit technologischen Umbrüchen wie der Elektromobilität auseinandersetzen müssen.

Doch Krisen wirken nicht nur von außen auf Unternehmen ein. Innerhalb von Organisationen entstehen zusätzliche Spannungen:

  • Arbeitnehmer*innen kämpfen mit Arbeitsplatzunsicherheit oder Überlastung.
  • Konflikte zwischen unterschiedlichen Generationen oder Abteilungen nehmen zu.
  • Der Veränderungsdruck durch Digitalisierung und neue Arbeitsmodelle fordert alle Beteiligten gleichermaßen.

Für Unternehmen kann die maximale Instabilität bedeuten, dass zentrale Geschäftsprozesse gefährdet sind. Die Herausforderung besteht darin, flexibel zu reagieren, ohne die langfristige Stabilität zu gefährden.

Was bedeutet das für Interessenvertretungen?

Für Betriebsrät*innen sind Krisenzeiten besonders anspruchsvoll, denn sie stehen gleich vor einer dreifachen Herausforderung:

  1. Mit der eigenen Belastung klarkommen: Auch Betriebsrät*innen sind Menschen, die von Krisen direkt betroffen sind. Sie müssen ihre eigene Unsicherheit, Überforderung oder persönliche Krise bewältigen, während sie gleichzeitig ihrer Rolle gerecht werden sollen. Das ist oft eine unsichtbare Hürde, die viel emotionale Stärke und Resilienz erfordert.
  2. Die Arbeitnehmer*innen unterstützen: Betriebsräte sind oft die erste Anlaufstelle, wenn Ängste und Unsicherheiten in der Belegschaft wachsen. Die Beschäftigten erwarten, dass ihre Sorgen gehört, ihre Fragen beantwortet und ihre Interessen vertreten werden. Es geht darum, Orientierung zu geben, wenn Verunsicherung das Arbeitsklima prägt.
  3. Mit der Unternehmensführung zusammenarbeiten: Gleichzeitig müssen Betriebsräte mit der Unternehmensleitung tragfähige Lösungen entwickeln, die den wirtschaftlichen Zwängen gerecht werden. Hier gilt es, nicht nur auf die akuten Herausforderungen zu reagieren, sondern auch langfristige Strategien mitzugestalten, die die Zukunft der Belegschaft sichern.

Krisen bringen Unsicherheit, eröffnen aber auch Möglichkeiten, Altes zu hinterfragen und Neues zu gestalten. Als Betriebsrat könnt ihr Orientierung und Stabilität bieten, indem ihr:

offen kommuniziert und Ängste nehmt, ohne die Realität zu beschönigen.

  • zuhört und die Sorgen der Beschäftigten ernst nehmt.
  • langfristige Lösungen unterstützt, die Stabilität für die Zukunft schaffen.

Eure Rolle ist es, in schwierigen Zeiten Ruhe und Struktur zu bewahren – ein wichtiger Beitrag, um gemeinsam gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Krisen als Chance begreifen

Krisen sind belastend, aber sie bieten auch die Möglichkeit, alte Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Für Betriebsräte sind solche Zeiten eine Chance, nicht nur Begleiter von Veränderungen zu sein, sondern sie aktiv mitzugestalten. Ob es darum geht, flexible Arbeitsmodelle einzuführen, gezielte Weiterbildungsprogramme voranzutreiben oder ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen – hier könnt ihr den Unterschied machen.

Jede Krise, so herausfordernd sie auch sein mag, trägt das Potenzial in sich, langfristige Entwicklungen anzustoßen, die sowohl die Arbeitnehmer*innen als auch das Unternehmen stärken.

Krisen bringen Instabilität – oft auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Als Interessenvertretungen seid ihr gefordert, in dieser Komplexität Orientierung zu geben. Das bedeutet, nicht nur kurzfristige Entlastungen anzubieten, sondern auch langfristige Lösungen zu entwickeln, die Stabilität und Perspektiven schaffen. Eure Rolle ist entscheidend: Mit klarer Kommunikation, Empathie und Weitblick könnt ihr den Wandel aktiv gestalten. Ihr seid die Stimme der Belegschaft und eine treibende Kraft für nachhaltige Veränderungen. Denn wie Jean-Jacques Rousseau sagte: „Krisen sind Momente der Transformation.“ Nutzt diese Gelegenheit bewusst und konstruktiv – eure Stärke und euer Engagement können den entscheidenden Unterschied machen.

Natascha von Morgenstern, Erschienen in Ausgabe 4 vom Navigator am 17.02.2025
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