Insolvenzverwalter kann Mindestlohn zurückfordern

Wird der Arbeitgeber insolvent, kann der Insolvenzverwalter auch Teile des zuletzt gezahlten Arbeitsentgelts zurückfordern. Vor Rückforderung geschützt sind nur die vor Pfändung geschützten Lohnanteile, nicht aber der gesamte gesetzliche Mindestlohn – so nun das Bundesarbeitsgericht.

Darum geht es

Die Beklagte ist in diesem Fall die Arbeitnehmerin. Ihr Arbeitgeber musste Insolvenz anmelden. Sie erhielt in den letzten beiden Monaten vor dem Insolvenzantrag ihr Arbeitsentgelt von einem Konto der Mutter ihres Arbeitgebers überwiesen. Ihr Arbeitgeber selbst war damals bereits zahlungsunfähig.

Am 1. Dezember 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet. Der Insolvenzverwalter hat die Zahlungen an die Arbeitnehmerin angefochten und klagte auf Rückgewähr.

Die Arbeitnehmerin wehrte sich um meinte, eine Anfechtung sei in Höhe des Existenzminimums bzw. in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns unzulässig.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 131 InsO seien zwar erfüllt, der Mindestlohn könne aber nicht zurückgefordert werden (Hessisches LAG, 19.10.2021 – 12 Sa 587/21). Dagegen haben beide Seiten Revision eingelegt.

Das sagt das Bundesarbeitsgericht

Vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte der Insolvenzverwalter Erfolg. Die Klage auf Rückzahlung des Lohns sei entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts in voller Höhe begründet.

Eine Einschränkung der Insolvenzanfechtung in Höhe des Mindestlohns sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Schutz des Existenzminimums des Arbeitnehmers werde durch die Pfändungsschutzbestimmungen der Zivilprozessordnung und das Sozialrecht gewährleistet.

Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch umfasse uneingeschränkt auch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Die Rechtswirkungen des Mindestlohngesetzes enden, wenn der Arbeitgeber zahlt. Einen Ausschluss der Anfechtbarkeit oder einen besonderen Vollstreckungsschutz habe der Gesetzgeber dagegen nicht vorgesehen.

Hinweis für die Praxis

Der gesetzliche Mindestlohn ist eine wichtige sozialpolitische Errungenschaft, aber rechtlich verbindlich leider nur im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wenn der Insolvenzverwalter Zahlungen anfechtet, regelt allein die Zivilprozessordnung (ZPO) in den §§ 850 bis 850i ZPO, welche Lohnbestandteile und Beträge vor Pfändung geschützt sind.

Der gesetzliche Mindestlohn liegt seit dem 1. Januar 2022 bei 9,82 Euro, er wird zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro und zum 1. Oktober 2022 auf 12,00 Euro angehoben (jeweils Bruttolohn pro Stunde). Arbeitet jemand in Vollzeit, z. B. 36 oder 40 Wochenstunden, liegt das monatliche Gehalt dabei über den nach der ZPO geschützten Beträgen. Für diesen Differenzbetrag ist eine Rückforderung möglich, falls die weiteren Voraussetzungen nach der Insolvenzordnung (§§ 129 ff InsO) erfüllt sind.

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Quelle

BAG (25.05.2022)
Aktenzeichen 6 AZR 497/21
BAG, Pressemitteilung 20/22 vom 25.5.2022