Ein Arbeitnehmer steht auch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ihn beim Luftschnappen in einem Pausenbereich ein Gabelstapler anfährt. Auch dann verwirklicht sich eine „spezifische betriebsbezogene Gefahr“, so das Landessozialgericht Baden-Württemberg.
Darum geht es
Der Kläger des Verfahrens wohnt im Rhein-Neckar-Kreis. Als gerade ihm keine konkrete Arbeit zugewiesen war, hielt er sich erlaubterweise in einem ausgewiesenen Pausen- und Raucherbereich auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens in Ludwigshafen auf, um Luft zu schnappen. Dabei fuhr ihn ein Gabelstapler an. Er erlitt eine Unterarmfraktur und eine Kniegelenksdistorsion.
Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil der Kläger zur Zeit des Unfalls eine privatnützige Verrichtung ausgeführt habe. Das Sozialgericht Mannheim war dem gefolgt und hatte auch einen Versicherungsschutz wegen einer spezifischen Betriebsgefahr verneint: Die Gefahr in dem Pausenbereich sei nicht höher gewesen als allgemein am Wohn- und Beschäftigungsort. Zudem habe sich der Kläger dieser Gefahr freiwillig ausgesetzt. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.
Das sagt das Gericht
Der 1. Senat des Landessozialgerichts (LSG) stellte daraufhin einen Arbeitsunfall des Klägers fest. Es lag hier eine spezifische betriebliche Gefahr vor. Die erhöhte Gefährlichkeit von Gabelstaplern gegenüber dem alltäglichen Straßenverkehr ist durch Untersuchungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) nachgewiesen und Gegenstand besonderer Unfallverhütungsvorschriften.
Ein Beschäftigter darf darauf vertrauen, während einer gestatteten Pause auch in einem vom Arbeitgeber ausgewiesenen Bereich keinen gegenüber dem allgemeinen Leben erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein.
Es sind noch Rechtsfragen offen
Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig: Der Senat hat die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zugelassen. In der bisherigen Rechtsprechung ist noch nicht endgültig geklärt, ob der Versicherungsschutz wegen einer spezifischen betriebsbezogenen Gefahr
- nur in unmittelbarer Nähe des konkreten Arbeitsplatzes besteht
- oder auch in einem weiter entfernt liegenden Pausenbereich wie hier.
Die Berufsgenossenschaft kann daher entscheiden, ob sie Revision einlegt oder das Urteil ausführt.
Hinweis für die Praxis
In der Rechtsprechung der Sozialgerichte ist anerkannt, dass ein Unfall nicht nur dann ein Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII) ist, wenn er während betriebsbezogener Verrichtungen in der Arbeit geschieht, sondern auch, wenn sich in ihm eine »spezifische betriebsbezogene Gefahr« verwirklicht.
Die Reichweite des Versicherungsschutzes in diesen Fällen ist aber immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen, da die Unfallversicherungsträger den Versicherungsfall oft zuerst nicht anerkennen wollen.
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Quelle
LSG Baden-Württemberg (27.02.2023)
Aktenzeichen L 1 U 2032/22
LSG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 6.3.2023