Das war der Fall
Mit seiner sofortigen Beschwerde greift der Kläger einen Beschluss des Arbeitsgerichts an, durch den der in der Hauptsache anhängige Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss eines vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a.M. anhängigen Verfahrens ausgesetzt wird. Im Verfahren ging es um das Bestehen des sog. Zukunftstarifvertrags (Z-TV), der zwischen der IG Metall und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e.V. (VME), dem Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie e.V. (VSME) sowie dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen e.V. am 14.7.2023 rückwirkend auf 1.4.2023 abgeschlossen und seitens der IG Metall mit Schreiben vom 29.4.2024 außerordentlich fristlos gekündigt worden war.
Mit seiner Klage in dem nun ausgesetzten Rechtsstreit verlangte der Kläger die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes für das Kalenderjahr 2024, die ihm aufgrund § 19 Nr. 1 sowie Nr. 2 bis 6 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in Sachsen aus dem Jahr 2018 zustehe. Der Arbeitgeber dürfte dieses Urlaubsgeld nicht nach dem Z-TV einbehalten, denn die IG Metall habe diesen inzwischen außerordentlich fristlos gekündigt. Selbst wenn der Z-TV weiterhin gelten würde, also Nachwirkung entfalte, bestünde der Anspruch, weil die sich aus § 6 des Z-TV ergebenden Voraussetzungen für einen dauerhaften Einbehalt des Urlaubsgeldes nicht vorlägen.
Das sagt das Gericht
Das LAG Sachsen hat die Aussetzung des Verfahrens durch das ArbG Bautzen nicht beanstandet. § 148 Abs. 1 ZPO eröffne eine Ermessensausübung mit dem Zweck, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Dies ist abzuwägen gegen die Nachteile der durch die Aussetzung verlängerten Verfahrensdauer und die dadurch entstehenden Folgen für die Parteien des Rechtsstreits.
Es war daher zu durch das ArbG Bautzen zu prüfen, ob das vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main unter dem Az. 21 CA 4279/24 anhängige Verfahren um die Wirksamkeit der von der IG Metall erklärten Kündigung des Z-TV vorgreiflich war für den auszusetzenden Rechtsstreit.
- Vorgreiflichkeit liegt nach allgemeiner Meinung vor, wenn in einem anderen Rechtsstreit über ein Rechtsverhältnis zu entscheiden ist, dessen Bestehen für den vorliegenden Rechtsstreit zumindest teilweise präjudizielle Bedeutung hat (u.a. BGH, Beschluss vom 24.7.2023, VIa ZB 10/2; BAG, Urteil vom 22.3.2023, 10 AZR 499/20).
- Präjudizielle Bedeutung liegt vor, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzen Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltung- bzw. Interventionswirkung erzeugt (BGH und BAG jeweils a.a.O.).
Das ArbG Bautzen ist in dem angefochtenen Beschluss zu Recht von präjudizieller Bedeutung anhängigen Rechtsstreits um die Wirksamkeit des Z-TV ausgegangen. Nach § 9 TVG sind Entscheidungen der Arbeitsgerichte in Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages in Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Parteien bindend. Die in § 9 TVG angeordnete Bindungswirkung erstreckt sich auf den in der Hauptsache anhängigen Rechtsstreit, weil der Z-TV kraft beiderseitiger Tarifbindung anwendbar ist und die §§ 5 und 6 Z-TV entscheidungserheblich sind.
Auch § 4 Abs. 5 TVG steht laut LAG Sachsen der Präjudizialität nicht entgegen, denn der Z-TV entfaltet keine Nachwirkung. Nach § 4 Abs. 5 TVG wirken die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach seinem Ablauf weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden – das dient dem Zweck, dass Arbeitsverhältnisse nach Beendigung eines Tarifvertrages nicht leerlaufen sollen. Zudem soll es die Ordnungsfunktion der Tarifnormen wahren und den Tarifvertragsparteien Gelegenheit geben, ohne Zeitdruck über Folgeregelungen zu verhandeln.
Konkludente Auslegung des TV erforderlich
Die Tarifvertragsparteien können eine Nachwirkung des Tarifvertrages jedoch aus sachlichen Gründen ausschließen, befristen oder beschränken, was sich entweder aus dem Wortlaut des betreffenden Tarifvertrages oder aus dessen Auslegung ergibt. Die Einschränkung der Nachwirkung kann dabei auch konkludent erfolgen.
Der Z-TV entfaltet nach diesen Maßgaben keine Nachwirkung. Die Tarifvertragsparteien haben die Nachwirkung in § 16 Z-TV zwar nur für die Zeit nach Ende der vereinbarten Laufdauer des Tarifvertrages (Nr.1) und den Fall einer Kündigung aus wichtigem Grund wegen Nichterreichens des Beschäftigungsschutzes (Nr.2) ausdrücklich ausgeschlossen.
Die Auslegung des Tarifvertrages ergibt aber, dass seine Normen auch in Fällen fristloser Kündigung aus anderen Gründen nicht nachwirken sollen. Denn der Z-TV modifiziert als typischer Sanierungstarifvertrag lediglich die tariflichen Bestimmungen des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in Sachsen für eine begrenzte Zeitpunkt, nämlich um das Ziel der Tarifvertragsparteien zu erreichen, den Fortbestand aller Standorte der Beklagten in Deutschland zu sichern. Eine Nachwirkung des Z-TV ist bei dieser erkennbaren Interessenlage der Tarifvertragsparteien konkludent ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat das nach § 148 Abs. 1 ZPO eröffnete Ermessen zur Aussetzung des Rechtsstreits in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Im Rahmen der dem Beschwerdegerichts zustehenden eingeschränkten Überprüfungskompetenz sind keine Ermessensfehler festzustellen, die eine Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung rechtfertigen würden.
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