Gesundheit

Gesundheit am Arbeitsplatz – Gesundheit fördern

Zwischen Pflicht, Prävention und Perspektivenwechsel

Rückenschmerzen, Dauerstress, Erschöpfung: Die Zahl der Krankmeldungen in Deutschland bleibt hoch. Für viele Betriebe ist das längst mehr als eine Personalfrage – es geht um Kultur, Haltung und Strukturen. Was also tun, wenn der Körper streikt? Und wie lässt sich Gesundheit so fördern, dass sie nicht nur „verordnet“, sondern gelebt wird?

Zahlen, die in Sachen Gesundheit zu denken geben

Der Krankenstand in Deutschland ist auf einem anhaltend hohen Niveau. Laut DAK-Gesundheit lag er im Jahr 2024 bei 5,4 Prozent – das entspricht durchschnittlich 19,7 Fehltagen pro beschäftigter Person. Auch die Techniker Krankenkasse berichtet von ähnlichen Zahlen: 5,23 Prozent Krankenstand, mit einem besonders hohen Anteil an Langzeiterkrankungen.

Die häufigsten Ursachen bleiben konstant:

  • Atemwegserkrankungen infolge der Corona-Jahre sind weiter präsent.
  • Psychische Erkrankungen nehmen spürbar zu.
  • Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen, Verspannungen oder Bandscheibenprobleme zählen nach wie vor zu den Top- Gründen für Ausfälle.

Bereits im ersten Quartal 2025 hat sich gezeigt: Der Trend hält an – und die Belastungen bestehen fort. Arbeitsverdichtung, Personalmangel und ständige Erreichbarkeit sind längst keine Ausnahmephänomene mehr, sondern Alltag in vielen Betrieben. Die Taktung ist hoch, die Ressourcen sind knapp – und oft fehlt es an konkreten Spielräumen für Entlastung. Die Folgen sind deutlich sichtbar: mehr Ausfälle, längere Erholungsphasen, steigende Kosten für Unternehmen – und nicht zuletzt eine wachsende Erschöpfung, die auch die Motivation und Bindung der Beschäftigten beeinflusst.

Was das bedeutet für unsere Gesundheit?

Krankheit ist kein Ausnahmefall mehr, sondern Realität im Arbeitsalltag. Und damit ist sie auch ein zentrales Thema für Mitbestimmung und gute betriebliche Praxis. Es geht längst nicht mehr darum, ob man sich mit Gesundheit beschäftigen muss – sondern wie.

  • Wie können wir als Interessenvertretung präventiv wirken?
  • Welche strukturellen Faktoren begünstigen Gesundheit – oder gefährden sie?
  • Wie schaffen wir Raum für Regeneration, ohne das System zu überfordern?

Gesundheit ist zur strategischen Aufgabe geworden. Und ihr als Interessenvertretungen seid ein zentraler Hebel,
sie mitzugestalten – durch Wissen, Haltung und konkrete Impulse.

Was Beschäftigte zum Thema Gesundheit wissen müssen

Bevor wir tiefer auf Ursachen und Lösungen schauen, braucht es erst einmal Klarheit über die Basics. Denn wer krank ist, muss sich nicht rechtfertigen – aber informieren. Rund um das Thema Arbeitsunfähigkeit gibt es klare gesetzliche Regelungen, die sowohl Beschäftigte als auch Arbeitgeber kennen sollten. Für Betriebsrätinnen ist es besonders wichtig, hier gut informiert zu sein, um Kolleginnen bei Bedarf sicher begleiten und beraten und im Konfliktfall unterstützen zu können.

Rechte und Pflichten im Überblick

Krankmeldung
Beschäftigte sind verpflichtet, den Arbeitgeber unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit zu informieren – möglichst vor Arbeitsbeginn am ersten Krankheitstag. Dabei sollten auch die Dauer und gegebenenfalls erste Rückmeldetermine genannt werden. Die Form (Telefon, E-Mail, Intranet-System) kann intern geregelt sein.

AU-Bescheinigung
Spätestens ab dem vierten Kalendertag muss eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegen. Der Arbeitgeber kann sie aber auch ab dem ersten Tag verlangen, etwa bei häufigen Kurzzeiterkrankungen. Seit 2023 wird die AU digital direkt von der Arztpraxis an die Krankenkasse übermittelt; der Arbeitgeber ruft sie dort ab. Beschäftigte müssen dennoch aktiv über ihre AU informieren – die digitale Übertragung ersetzt keine Krankmeldung.

Entgeltfortzahlung
Für bis zu sechs Wochen erhalten Beschäftigte weiterhin ihr volles Gehalt vom Arbeitgeber. Danach übernimmt die Krankenkasse mit Krankengeld. Liegt eine neue, nicht zusammenhängende Diagnose vor, entsteht in der Regel ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Verhalten während der Krankschreibung
Wer krank ist, muss nicht das Haus hüten – entscheidend ist, dass das Verhalten die Genesung nicht beeinträchtigt. Spaziergänge, Arztbesuche oder alltägliche Erledigungen sind erlaubt – wenn medizinisch nichts dagegenspricht.

Keine Diagnosepflicht
Beschäftigte sind nicht verpflichtet, ihre Diagnose offenzulegen. Der Arbeitgeber darf nur die Dauer und voraussichtliche Rückkehr erfragen. Ausnahmen gelten lediglich bei bestimmten meldepflichtigen Krankheiten in sensiblen Arbeitsfeldern.

Medizinischer Dienst
Bestehen begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann der Arbeitgeber den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten. Das ist ein gesetzlich geregelter Vorgang, der nicht als Misstrauensvotum gewertet werden sollte, sondern zur rechtlichen Klärung dient.

Kündigung trotz Krankheit?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist zwar möglich, aber nur unter sehr strengen Voraussetzungen – etwa bei dauerhaft negativer Gesundheitsprognose und erheblichen betrieblichen Auswirkungen. Der Betriebsrat muss in jedem Fall beteiligt werden. Eine rechtliche Prüfung ist hier zwingend erforderlich.

Was Interessenvertretungen für die Gesundheit tun können

  • Interessenvertretungen spielen bei diesem Thema eine wichtige Rolle. Sie können…
  • über Rechte und Pflichten aufklären,
  • bei Unsicherheiten vermitteln,
  • Kolleg*innen in schwierigen Situationen stärken und
  • durch vorausschauende Vereinbarungen (z. B. zur AURegelung) für Klarheit sorgen.

Kurz gesagt: Sie schaffen Orientierung – und schützen dabei nicht nur einzelne Beschäftigte, sondern auch das Vertrauen in ein faires und gesundes Miteinander im Betrieb. Doch um wirksam zu bleiben, reicht der Blick auf Regeln allein nicht aus. Wer Gesundheit wirklich fördern will, muss auch verstehen, was unter der Oberfläche wirkt – dort, wo Belastungen entstehen, bevor sie zu Krankheit führen.

Der Eisberg unter der Oberfläche: Was wirklich krank macht

Nicht jede Erkrankung hat allein körperliche Ursachen – oft spielen auch psychosoziale Belastungen im Arbeitsalltag eine Rolle. Viele dieser Faktoren wirken unter der Oberfläche und sind nicht sofort sichtbar, beeinflussen aber langfristig die Gesundheit.

Eisbergmodel Gesundheit
© iStock.com/Whale Design

Das Modell macht deutlich: Während oben nur die Krankschreibung oder der Ausfall sichtbar sind, können darunter auch Stress, Zeitdruck, Konflikte, fehlende Pausen oder unklare Erwartungen liegen. Wer Gesundheit fördern will, sollte auch auf das schauen, was unter der Wasserlinie wirkt – und frühzeitig ansetzen. Gesundheit ganzheitlich zu betrachten, bedeutet eben nicht nur, Symptome zu verwalten – sondern Bedingungen zu hinterfragen und, wo möglich, zu verändern.

Was du als Interessenvertretung tun kannst
Gesundheit lässt sich nicht verordnen – aber gestalten. Und du kannst dabei eine entscheidende Rolle spielen. Denn du bist nah dran, bekommst mit, wo Belastung entsteht, und kannst aktiv dazu beitragen, dass sich die Rahmenbedingungen
im Betrieb verbessern. Konkret heißt das:

Gesundheit was tun
© Icons: iStock.com/Coquet Adrien

Du kannst viel bewegen – besonders dann, wenn du Gesundheit nicht als Einzelthema betrachtest, sondern als Teil
guter, fairer und nachhaltiger Arbeitsbedingungen.

Resilienz – Wenn es darum geht, gesund zu bleiben

Eine dieser Bedingungen ist der Umgang mit Belastung. In einer Welt, die sich ständig verändert – mit wirtschaftlichen Krisen, neuen
Technologien und wachsendem Druck –, braucht es mehr als Organisation und Fachlichkeit. Es braucht innere Stabilität. Resilienz beschreibt genau das: die Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen, sich nicht zu verlieren, sondern ins Gleichgewicht zurückzufinden. Resiliente Menschen sind nicht unverwundbar. Sie haben nur gelernt, mit Belastungen bewusster umzugehen – und können sich nach Krisen besser erholen. Die folgenden sieben Faktoren helfen dabei, nicht auszuhalten, sondern handlungsfähig zu
bleiben:

  • Selbstwahrnehmung: Eigene Stressanzeichen erkennen, bevor es kippt
  • Selbstregulation: Gefühle steuern, anstatt sich von ihnen überrollen zu lassen
  • Selbstwirksamkeit: Das Gefühl, Einfluss zu haben – auch in schwierigen Situationen
  • Soziale Unterstützung: Verbindungen nutzen, die tragen
  • Realistischer Optimismus: Das Positive sehen, ohne Probleme zu leugnen
  • Lösungsorientierung: Nicht im Problem verharren, sondern in Bewegung bleiben
  • Zukunftsperspektive: Sinn und Richtung erkennen, auch wenn der Weg unsicher ist

Besonders für Interessenvertretungen ist Resilienz entscheidend: Wer andere begleitet, muss selbst stabil sein. Und: Resilienz ist nicht nur individuell – sie kann kulturell gestärkt werden, beispielsweise durch klare Kommunikation, Beteiligung und achtsamen Umgang mit Belastungsspitzen.

Mental Load reduzieren – Die unsichtbare Last erkennen

Neben sichtbaren Aufgaben gibt es im Arbeitsalltag auch eine unsichtbare Belastung, die oft übersehen wird: Mental Load. Gemeint sind damit das ständige Mitdenken, Planen und Koordinieren – also die Verantwortung für Dinge, die nicht auf dem Papier stehen, aber trotzdem erledigt werden müssen. Besonders betroffen sind Menschen in unterstützenden Rollen – wie viele Betriebsrät* innen. Sie denken nicht nur für sich, sondern auch für andere mit: Wer braucht gerade Unterstützung? Was darf nicht untergehen? Wer muss woran erinnert werden? Diese Art der Belastung ist schwer zu greifen, wirkt aber stark. Sie führt auf Dauer zu:

Innerer Unruhe • Emotionaler Erschöpfung • Dem Gefühl, nie richtig abschalten zu können • Der ständigen Sorge, etwas zu übersehen

Was hilft gegen Mental Load?

  • Aufgaben sichtbar machen: Schreib auf, was alles bei dir liegt – auch das, was „nebenbei“ läuft.
  • Verantwortung fair verteilen: Nicht alles muss bei einer Person hängen bleiben.
  • Pausen bewusst einplanen: Auch kurze Unterbrechungen helfen, wieder klar denken zu können.
  • Austausch ermöglichen: Sprich mit anderen, die ähnliche Rollen haben – das entlastet und gibt neue Perspektiven.

Ein Betrieb, der Mental Load ernst nimmt, erkennt: Es geht nicht nur darum, mehr zu schaffen – sondern
bewusster damit umzugehen, wer was trägt.

Gesunde Arbeitskultur beginnt im Kleinen

Gesundheitsförderung muss nicht groß gedacht oder teuer sein. Oft sind es die kleinen, bewussten Impulse im Arbeitsalltag, die langfristig spürbar wirken – gerade dann, wenn sie zur Haltung im Team passen und von der Interessenvertretung mitgetragen werden.

Was kann also konkret getan werden? Hier einige erprobte und wirksame Ansätze aus der Praxis:

Pausenkultur etablieren:
Statt durcharbeiten kurze Regenerationszeiten ermöglichen – zum Beispiel eine tägliche „Atempause“, bewegte Pausen oder bewusst Offline-Zeiten während Meetings.

Flexible Arbeitszeiten ermöglichen:
Gleitzeit, Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit – wenn sie klar geregelt sind und fair kommuniziert werden, senken sie Stress und fördern Eigenverantwortung.

Fokus-Zeiten einführen:
Ununterbrochene Zeitfenster für konzentriertes Arbeiten ohne E-Mails, Anrufe oder Meetings – idealerweise für alle sichtbar im Kalender markiert.

Stille Arbeitsphasen etablieren:
Beispielsweise täglich eine Stunde ohne Telefon oder Besprechungen – das schafft Entlastung im Kopf und mehr Ruhe im Team.

Führungskräfte sensibilisieren:
Führung wirkt – auch auf das Wohlbefinden. Schulungen zu Themen wie „Gesund führen“, „Achtsam delegieren“ oder „Kultur der Anerkennung“ zahlen direkt aufs Gesundheitsklima ein.

Psychische Belastung enttabuisieren:
Wer offen sprechen darf, kann sich entlasten. Check-in-Runden, kollegiale Gespräche oder externe Supervision machen den Unterschied – auch präventiv.

Arbeitsplatzgestaltung verbessern:
Licht, Luft, Lärm – alles beeinflusst, wie wir arbeiten. Schon kleine Maßnahmen wie Pflanzen, Tageslichtlampen oder Ruhezonen steigern das Wohlbefinden deutlich.

Und ja: Bürohunde helfen:
Wenn das Team einverstanden ist und klare Regeln gelten, können sie Stress reduzieren, Nähe fördern und die Atmosphäre entspannen.

Es gibt aber auch Situationen, die brauchen mehr als Fakten. Gerade Menschen, die viel mitdenken und tragen, finden im Coaching Raum, um Klarheit zu gewinnen – über sich selbst, das eigene Handeln und die nächsten Schritte.

Es braucht mehr als Fürsorge – es braucht Beteiligung

Wer gesund bleibt, bleibt wirksam. Wer krank wird, verdient Unterstützung. Und wer Strukturen verändern will, braucht Wissen, Mut – und manchmal jemanden, der einfach zuhört.
Gesundheit ist kein Randthema. Sie ist Voraussetzung für Gute Arbeit.

Natascha von Morgenstern, Erschienen im Navigator Ausgabe 5, 19.05.2025
Beitragsbild: © Icons: iStock.com/Alenast