Darum geht es
Der Arbeitnehmer war von April 2018 bis August 2020 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgerechte Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Im Jahr 2019 erhielt er ein Angebot auf Zuteilung von 23 virtuellen Optionsrechten (sog. »Allowance Letter«), das er durch gesonderte Erklärung annahm.
Für Mitarbeiter-Aktienoptionen galten eigene Bestimmungen des Arbeitgebers, die »Employee Stock Option Provisions«, kurz ESOP. Nach diesen setzt die Ausübung der virtuellen Optionen, die zu einem Zahlungsanspruch gegen die Arbeitgeberin führen kann, deren Ausübbarkeit nach Ablauf einer Vesting-Periode und ein Ausübungsereignis wie einen Börsengang voraus. Als Vesting bezeichnet man den Erwerb des Eigentums an einem Vermögenswert über einen bestimmten Zeitraum, die Vesting-Periode.
Dabei werden die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen nach einer Mindestwartezeit von zwölf Monaten innerhalb einer Vesting-Periode von insgesamt vier Jahren gestaffelt ausübbar. Die Vesting-Periode wird ausgesetzt, wenn und solange der Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung ohne Gehaltsanspruch entbunden ist.
Nach Nr. 4.2 ESOP verfallen bereits ausübbare (»gevestete«), aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen unter anderem, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endet. Im Übrigen verfallen »gevestete«, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen nach Nr. 4.5 ESOP sukzessiv innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses.
Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Arbeitnehmers waren 31,25 % der ihm zugeteilten Optionsrechte »gevestet«. Mit Schreiben vom 2. Juni 2022 machte er seinen Anspruch auf diese virtuellen Optionen geltend. Die Arbeitgeberin lehnte den Anspruch unter Hinweis auf den Verfall der Optionsrechte ab.
Der Arbeitnehmer erhob Klage auf die ihm zugeteilten und »gevesteten« virtuellen Optionen; diese seien nicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, da die Verfallklauseln unwirksam seien.
Das sagt das BAG
In der Revision hatte der Kläger vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg: Die »gevesteten« virtuellen Optionen sind nicht verfallen, so das BAG. Bei den Bestimmungen über das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfenden Verfallklauseln halten einer Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht stand und sind daher unwirksam – dem Arbeitnemer stehen die Optionen zu.
Zu den hier verwendeten Verfallklauseln entschied das BAG:
- Bestimmt eine Verfallklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass zugunsten des Arbeitnehmers »gevestete« virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).
- Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die »gevesteteten« virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. „Vesting-Periode“ entstanden sind.
Gegenleistung für Arbeitsleistung
Die durch teilweisen Ablauf der Vesting-Periode »gevesteten« virtuellen Optionen stellen auch eine Gegenleistung für die vom Kläger in dieser Zeit im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies folgt insbesondere aus der in den ESOP enthaltenen Regelung zur Aussetzung der Vesting-Periode in Zeiten, in denen der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt.
Der sofortige Verfall der »gevesteten« Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen und steht dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB entgegen. Außerdem stelle dies eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung dar, da der Optionsberechtigte zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Arbeitsverhältnis vor einem ungewissen Ausübungsereignis nicht kündigen dürfte.
Aufgabe früherer Rechtsprechung
Soweit der Senat in einer älteren Entscheidung (BAG 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07 -) den sofortigen Verfall bereits „gevesteter“ Optionen, die während des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübt werden konnten, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig gehalten hat, hält er daran nicht mehr fest.
Auch verkürzte Verfallfrist ist unwirksam
Auch die Klausel unter Nr. 4.5 ESOP benachteiligt den ausscheidenden Arbeitnehmer bei typisierender Betrachtung unangemessen, denn sie lässt zu, dass die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen doppelt so schnell verfallen, wie sie »gevestet« sind. Damit lässt sie die Zeit, die der Arbeitnehmer durch Erbringung seiner Arbeitsleistung in der Vesting-Periode für die ausübbaren Optionsrechte aufgewandt hat, unberücksichtigt, ohne dass die kürzere Verfallfrist durch entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.
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