Der EuGH hat in einer viel beachteten Entscheidung die Aufzeichnungspflichten bezüglich der täglichen Arbeitszeit erheblich erweitert. Nach Auffassung des EuGHs müssen nicht nur Arbeitszeiten oberhalb der täglichen Höchstarbeitszeit oder Mehrarbeit, sondern alle Arbeitszeiten erfasst werden.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich mit der Frage befasst, in welchem Umfang eine Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeiten erforderlich ist, um die Ziele der Grundrechtscharta und der Arbeitszeitrichtlinie zu verwirklichen.
Der EuGH hat festgestellt, dass eine Regelung, welche die Arbeitgeber lediglich zur Erfassung von Überstunden verpflichtet, nicht geeignet ist, die Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten und der täglichen oder wöchentlichen Mindestruhezeiten zu gewährleisten. Die Mitgliedsstaaten müssen stattdessen die Arbeitgeber verpflichten, die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit zu erfassen.
Unmittelbare Auswirkungen auf tarifliche Regelungen hat die Entscheidung nicht. Es bedarf zunächst der Umsetzung in deutsches Recht durch eine entsprechende Anpassung des Arbeitszeitgesetzes oder der Rechtsprechung. Das Urteil befasst sich mit der spanischen Gesetzeslage. In einer Auseinandersetzung über Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer zwischen der Deutschen Bank und einer Gewerkschaft hatte das Oberste Gericht (Tribunal Supremo) die entsprechenden gesetzlichen Regelungen so ausgelegt, dass nur eine Verpflichtung zur Erfassung der Überstunden besteht. Eine Verpflichtung zur Erfassung der „gewöhnlichen“ Arbeitszeit sah das Oberste Gericht nicht.
Diese Rechtslage ist vergleichbar mit der deutschen Situation. In § 16 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes wird der Arbeitgeber auch lediglich verpflichtet, die Arbeitszeit aufzuzeichnen, die werktäglich über 8 Stunden hinausgeht.
Vom Nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional) wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine derart beschränkte Aufzeichnungspflicht den Anforderungen von
Grundrechtscharta und Arbeitszeitrichtlinie genügt.
Nach Auffassung des EuGHs ist eine objektive und verlässliche Feststellung der Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden – und nicht nur der Mehrarbeitsstunden – erforderlich, um festzustellen, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit und die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten entsprechend der Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden.
Die spanische Regelung entspricht damit diesen Vorgaben nicht. Gleiches gilt für die entsprechende deutsche Regelung.
Eine Anpassung kann durch eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen oder durch eine richtlinienkonforme Auslegung der bestehenden Regelungen durch die Rechtsprechung erfolgen. Den Mitgliedsstaaten kommt dabei ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der konkreten Modalitäten – z. B. der Berücksichtigung der Besonderheiten bestimmter Tätigkeiten und Unternehmen – zu. Ausnahmen sind insbesondere dann möglich, wenn die Dauer der Arbeitszeit nicht bemessen oder vorherbestimmt oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann.
Hier könnt ihr die Pressemitteilung sowie das Urteil noch einmal auf der Seite des EuGH nachlesen
EuGH Urteil vom 14. Mai 2019 Rechtssache C-55/18