Jahrelang war künstliche Intelligenz (KI) eher ein Spezialistenthema, inzwischen redet alle Welt davon. Und nutzt sie auch – denken wir nur an Siri und Alexa, an ChatGPT und DeepL, an die Gesichtserkennung am Smartphone oder Kaufempfehlungen beim Online-Shopping. Wenn schon der Alltag so deutlich von KI geprägt ist, dürfte jedem klar sein, dass sie auch einer der größten Faktoren ist, die ein Umdenken unserer Arbeitsumgebungen und vor allem des Arbeitsrechts erzwingt. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Wolfgang Däubler, einem der Top-Referent*innen auf den Arbeitsrechtstagen 2024, gesprochen.
KI ist gekommen, um zu bleiben, und wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern. Manche sagen: „Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, aber sie wird anders.“ Wie wird dieses Anders praktisch aussehen? Auf welche Branchen und Berufe haben die KI-Algorithmen am ehesten negative Auswirkungen?
Auf alle diese Fragen kann man derzeit keine gesicherte Antwort geben – man ist auf Vermutungen, manchmal sogar auf Spekulationen angewiesen. Basierend auf Erfahrungen lassen sich allerdings bestimmte Dinge schon heute sagen. So ist ChatGPT beispielsweise in der Lage, den Redestil bekannter Personen perfekt zu imitieren. Redenschreiber ist deshalb ein Beruf mit wenig Zukunft. Übersetzer*innen werden es ebenfalls schwer haben: DeepL übersetzt Texte sehr gut in viele Sprachen, nach meinen bisherigen Erfahrungen besser als die meisten Menschen. Ein anderes Beispiel: In einem pharmazeutischen Betrieb wird in der F&E-Abteilung geforscht, welche Wechselwirkungen zwei Substanzen haben können, die in einem neuen Medikament verwendet werden sollen. Auch hier gibt es die Einschätzung, dass die KI das bald besser kann als Menschen, da sie über einen größeren „Erfahrungsschatz“ verfügt.
Was bleibt, sind relativ kleine Tätigkeitsfelder, die eine hohe Qualifikation voraussetzen: Es geht um Kontrolleure, die prüfen, ob die Ergebnisse der KI wirklich korrekt sind oder ob sich Irrtümer eingeschlichen haben. Und es geht um die „Hersteller“ der KI, also um die Personen, die sie programmieren und ihre Weiterentwicklung überwachen.
Im Arbeitsalltag kann KI auch routinemäßige Aufgaben übernehmen, beispielsweise kann sie Schichtpläne oder Weiterbildung im Sinne der Beschäftigten optimieren. Ist damit eine große Chance für die Arbeitswelt von morgen verbunden? Oder gibt es Hemmnisse/Stolperstellen, die zum Tragen kommen?
KI kann sowohl einfachere Routine-Tätigkeiten als auch relativ komplexe Aufgaben übernehmen. Dem Vernehmen nach setzt etwa eine niederländische Rechtsschutzversicherung KI zu dem Zweck ein, die Prozessaussichten besser beurteilen zu können. Das kann dazu führen, dass für den Menschen nur noch die besonders komplizierten Fälle übrig bleiben, bei denen das System keine eindeutige Empfehlung gibt. Damit kann (und wird meist) mehr Arbeitsdruck verbunden sein – es sei denn, ein einsichtiger Arbeitgeber würde die Akzeptanz der KI dadurch verbessern, dass er auch dem Einzelnen nur ein geringeres Pensum zuweist.
Ein weiteres Beispiel: Bewerbungsverfahren. Wenn Bewerber*innen und stellenausschreibendes Unternehmen beide künftig KI nutzen – welche KI macht das Rennen? Und was darf KI im Bewerbungsprozess eigentlich?
Wenn KI zur Verarbeitung personenbezogener Daten eingesetzt wird, dann kommt der Datenschutz ins Spiel. Dabei kommt gerade im Bewerbungsverfahren Artikel 22 DSGVO eine wichtige Rolle zu, weil er verbietet, dass Entscheidungen, die eine Person betreffen, ausschließlich von einer „Maschine“ getroffen werden. Also ist es beispielsweise nicht zulässig, alle Bewerbungen in ein mit vielen „Erfahrungen“ gefüttertes System einzugeben und auf diese Weise diejenigen auszusuchen, die in die engere Wahl kommen. Zulässig wäre lediglich, dass man formale Voraussetzungen wie das Vorliegen eines Abiturs vom System überprüfen lässt. Dass ein*e Bewerber*in KI nutzt, ist weniger wahrscheinlich. Im Internet kann er Informationen über die Firma finden, bei der er sich bewerben möchte, und ChatGPT für die Erstellung seiner Unterlagen nutzen. Aber er wird nicht wie ein Wirtschaftsprüfer oder Anlageberater über Tools verfügen, die die wirtschaftliche Situation des Unternehmens deutlich machen.
Weg von diesen konkreten Beispielen, stattdessen generell gefragt: Wo überall spielt KI im Arbeitsrecht eine Rolle?
KI kann bei allen Auswahlprozessen eingesetzt werden – neben dem Bewerbungsverfahren ist an Beförderungen und die soziale Auswahl bei Kündigungen zu denken. Daneben spielt der Einsatz von KI bei der Arbeitsorganisation eine Rolle: Wird beispielsweise eine Reparaturkolonne mit verschiedenen Aufträgen konfrontiert, ist die KI aufgrund ihres umfassenden Informationsstands in der Lage, die Reihenfolge der Abarbeitung zu bestimmen. Arbeitsrechtlich ist jedoch zu fragen, ob die KI eigentlich verbindliche Weisungen erteilen kann. Dazu kommen die bereits erwähnten Fälle, in denen die KI nicht nur als Hilfsmittel eingesetzt wird, sondern ein ganzes Tätigkeitsfeld wie die Übersetzung von Texten ersetzt. Hier steht das Vorliegen einer Betriebsänderung zur Debatte.
Lässt sich der Einsatz von KI gesetzgeberisch reglementieren? Wenn ja: Wie? Und wenn nein: Was sind die Gründe dafür? Wie und wo können oder müssen Betriebsrät*innen in diesem Bereich aktiv werden?
Derzeit wird bei der EU in Brüssel eine KI-Verordnung diskutiert, die durchaus Chancen hat, in absehbarer Zeit wirklich beschlossen zu werden. Sie stellt auf die Risiken ab, die mit dem Einsatz der KI verbunden sind. Bei bestimmten Fragen soll der Einsatz von KI völlig ausgeschlossen sein, bei anderen ist er nur unter engen Voraussetzungen zulässig, in weiteren Bereichen ist ihr Einsatz völlig unproblematisch.
Wie Betriebsrät*innen aktiv werden können? In erster Linie müssen sie umfassende Informationen gewinnen: Wo im Betrieb wird KI eingesetzt? Sind personenbezogene Daten im Spiel? Werden durch den Einsatz von KI Arbeitsplätze gefährdet? Wie ist die KI beschaffen? Mit welchen Daten, mit welchem Material wurde der Algorithmus trainiert? Der Betriebsrat kann sich dabei durch einen Sachverständigen beraten lassen, denn niemand kann von ihm verlangen, die anspruchsvollen Programme von SAP oder Workday zu kennen. Gut ist jedoch, wenn sich Betriebsratsmitglieder selbst fortbilden und Seminare nach § 37 Abs. 6 BetrVG besuchen. Denn ein guter Betriebsrat muss in der Lage sein, im Einzelnen zu ermitteln, wie groß das Kontrollpotenzial der im Betrieb eingesetzten KI ist. Dann kann er von seinen Mitbestimmungsrechten Gebrauch machen und dafür sorgen, dass auch die KI-Welt einigermaßen menschlich bleibt.
Herzlichen Dank für das informative Gespräch!
Wir haben Herrn Däubler darüber hinaus über seine Rolle als BWS-Referent interviewt. Einblicke in seine Arbeit als Dozent findet ihr hier.
Welche Chancen und Herausforderungen beim Einsatz von KI in Unternehmen außerdem auftreten, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Däubler in zwei hochkarätigen Vorträgen auf unseren Arbeitsrechtstagen 2024. Mehr über das Leben und Wirken des Wissenschaftlers findet ihr hier.