Schwerbehinderten Arbeitnehmern stehen jährlich fünf Tage zusätzlicher Urlaub zu. Weiß der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung, muss er die Berechtigten von sich aus darauf hinweisen. Unterlässt er dies, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz, wenn die Urlaubstage verfallen – so das LAG Niedersachsen.
Darum geht es
Die Arbeitnehmerin war seit 2012 bei einem Einzelhandelsunternehmen mit weniger als zehn Arbeitnehmern beschäftigt. Sie erhielt ein Monatsgehalt von zuletzt 1500,- Euro brutto. Ihr Arbeitsvertrag setzt eine monatliche Arbeitszeit von 120 Stunden und Anspruch auf 36 Tage Erholungsurlaub im Jahr fest.
Die Arbeitnehmerin ist mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Daher stehen ihr im Jahr fünf Tage zusätzlicher Urlaub zu (§ 208 SGB IX). Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Integrationsamts zum 31.1.2018. Während des Arbeitsverhältnisses hatte die Arbeitnehmerin den Zusatzurlaub nicht eingefordert.
Die Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung und machte im Prozess auch die Abgeltung für den ihr zustehenden Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen geltend. Das Arbeitsgericht (ArbG) Hameln wies ihre Klage ab, auch hinsichtlich der Urlaubsabgeltung: Die Klägerin hätte den Zusatzurlaub in den Jahren 2012 bis 2017 wenigstens vom Arbeitgeber verlangen müssen – dieser sei verfallen (ArbG Hameln 7.6.2018 – 1 Ca 409/17).
Das sagt das Gericht
Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen bekam die Klägerin zum Teil Recht. Zwar hielt auch das LAG die Kündigung für wirksam. Allerdings sprach ihr das Gericht rund 1140 Euro für die Abgeltung ihres Schwerbehinderten-Zusatzurlaubs von 2015 bis Januar 2018 zu. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet gewesen, die Arbeitnehmerin auf den ihr zustehenden Zusatzurlaub hinzuweisen. Dies sei eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, die sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergibt (§ 241 Abs. 2 BGB).
Dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten rechtzeitig auf den ihnen zustehenden Urlaub hinweisen müssen, um dessen Verfall zu verhindern, ergebe sich aus der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte entschieden, dass Urlaubsansprüche nach Ablauf des Urlaubszeitraums nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigten rechtzeitig darauf hingewiesen und in die Lage versetzt hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen (u.a. EuGH, 06.11.2018 – C-684/16).
Im hier entschiedenen Verfahren hatte die Arbeitgeberin dies versäumt, obwohl ihr die Schwerbehinderung der Klägerin nach eigenen Angaben spätestens seit 2015 bekannt war.
Die Arbeitnehmerin habe daher für den entgangenen Urlaub Schadensersatzanspruch im Form von Ersatzurlaub (§§ 280 Abs. 1 und 283 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB). Dieser habe sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt (§ 251 Abs. 1 BGB).
Praxistipp
Das LAG Niedersachsen betont ausdrücklich, dass die vom EuGH entwickelten Grundsätze auch für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen gelten. Der Arbeitgeber muss, wenn er von der Schwerbehinderung weiß, dem Arbeitnehmer den Zusatzurlaub zuerkennen und ihn rechtzeitig informieren, wenn dieser zu verfallen droht.
Das Urteil des LAG Niedersachsen ist noch nicht rechtskräftig, da das Gericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zugelassen hat. Diese ist dort unter dem Aktenzeichen 2 AZN 286/19 anhängig.
Da aber knapp einen Monat nach der Entscheidung aus Hannover auch das BAG die Rechtsprechung des EuGH umgesetzt hat (BAG 19.2. 2019 – 9 AZR 541/15), dürfte das BAG auch in letzter Instanz den Abgeltungsanspruch der Arbeitnehmerin bestätigen.
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Quelle
LAG Niedersachsen (16.01.2019)
Aktenzeichen 2 Sa 567/18